der Himmel ist blassblau, übersäht von Wölkchen, die langsam, aber stetig in ihm treiben. das Kind steht, den Ball in der gesunkenen Hand und schaut nach oben, nur kurz, doch einprägend, so dass dies für alle kommende und spätere Zeit der Kindheitshimmel sein wird. in diesem Moment spannt er sich in einer Weite, die unendlich scheint und doch nur den Raum begrenzt während die Zeit träge in sich versinkt. nicht vorzustellen, dass dieser Himmel je anders aussah, verschleiert, gewittrig oder vollkommen klar. nicht vorzustellen, dass dieser Himmel je anders ausschauen wird.

die Wolken gehen in ihre tägliche Richtung: nach den Wiesen, Auen, dem Deich und den Nebenarmen, die den Fluss ankündigen, an dessen anderem Ufer die große Stadt liegt. doch hier ist Dorf, der Rand desselben, die Siedlung. sie besteht aus Baracken, manche aus Holz, die meisten aus Stein. die Gärten an den Häusern und die Fensterläden, die abends sorgsam geschlossen werden, geben den Gebäuden eine romantische Anmutung, wie das Kind meint. sonst meint das kaum jemand, denn die meisten Bewohner sind damit beschäftigt, den Verfall der Siedlung wenigstens aufzuhalten und die eigene Wohnsituation ein wenig erträglicher zu gestalten, doch alle Bemühungen bleiben nur Makulatur. und so verschwindet langsam die Bodenplatte vor dem Garten der Großeltern. vormals eine von Gestrüpp fast gänzlich überwucherte Betonfläche wird sie stückweise freigelegt, um Garagen zu errichten. von Sommer zu Sommer. aus dem Auftauchen und Verschwinden stellt sich erstmals die Frage nach dem Grund der Existenz der Betonfläche.

dies war nicht immer Siedlung. dies war einmal eine Munitionsfabrik. dass diese nach dem ersten Krieg stillgelegt und die Baracken zu Wohnungen umgebaut worden waren, wussten die Besatzungen der Flugzeuge, die ihre Bomben im Januar 45 über der G. ausklinkten nicht. ihre Karten stammten noch aus dem ersten Krieg. dass Karten aus strategischen Gründen geheim gehalten werden, ist eine Tatsache, die das Kind erst viel später zu verstehen lernte. dass die hundert Toten dieser Nacht nur ein Kollateralschaden waren ebenso. ihre Gräber drängen sich in einer Ecke des G.schen Friedhofs, den das Kind mit dem Großvater besucht in jedem Sommer.

und in der Stadt am Fluss liegen auf einem anderen Friedhof, in einem anderen Massengrab, die anderen Aschetoten. der Kindonkel. das Kind kennt das Grab, es weiß um die Umstände, im Groben. was es erst viel später erfährt, ist, dass die Türen der Waggons verriegelt waren als der Tanklaster in den Zug fuhr. und mit Erschrecken: die Kinder hatten nicht für einen Moment eine Chance. als der Schmerz nicht mehr zu ertragen war, verlor der Großvater die Fähigkeit zu weinen und das Kind weint ob seiner Härte.

es gibt verschiedene Arten von Vergangenheit: die erlebte, die erzählte und die, die man fühlt. dieses Fühlen ist ein Sehen tiefer als das Auge schaut. diese Art von Vergangenheit ist nicht greifbar präsent, aber sie steht. da. dräuend. am Horizont. unter diesem Himmel. an diesem Tag. für dieses Leben.